Wolfgang Rössig
»Wie berühmt bist du, Archipelag und Mittelmeer, in der Geschichte des menschlichen Geistes!« schwärmte Herder. Seit Jahrtausenden sind die lichten Gestade des Mittelmeers, vom Heiligen Land bis zu den atlantischen Säulen des Herakles, ein Ort der Begegnung zwischen Orient und Okzident.
Am Mittelmeer trat Europa aus dem Dunkel der Geschichte. In der südlichen Ägäis entwickelte es seine erste Hochkultur, auf Attika verteidigten die Griechen Individualismus und die Demokratie, ihre Suche nach dem »Wahren und Schönen« vor dem Ansturm der asiatischen Despotie. Um die Zeitenwende herrschten die Römer über das gesamte »Mare Nostrum«, was die Ausbreitung des Christentums sehr begünstigte. In der Toskana fand ein gutes Jahrtausend später die vielleicht größte Revolution statt: Hier entdeckte die Renaissance den Menschen wieder als Individuum und rückte ihn selbst in den Mittelpunkt seiner Existenz.
Philosophie und Kunst dieser vom Klima so begünstigten Region haben die europäische Kultur über vier Jahrtausende geprägt. Augenfällig wird das besonders in der Architektur. Die Ruinen antiker Tempel, Theater und Villen säumen den gesamten Mittelmeerraum. Von Damaskus bis Granada sind die Moscheen und Paläste des Islam, aber auch mächtige Bollwerke der Kreuzritter zu besichtigen. Die Architektur der Renaissance, des Barock, des Klassizismus wurde am Mittelmeer geboren. Zu welchen Höhenflügen die mediterrane Kunst fähig war, zeigen die verschwenderisch ausgestatteten Museen: Kretische Fresken, griechische Götterstatuen, etruskische Vasen, römische Mosaiken, byzantinische Ikonen, arabische Kalligraphien, romanische Madonnen, Michelangelos David bis hin zu den Gemälden Modiglianis und Picassos.
Drei Weltreligionen haben sich im Mittelmeerraum entfaltet. Im 10. Jahrhundert zählten die andalusischen Städte Córdoba und Sevilla zur kulturellen Speerspitze Europas und bewiesen, dass Christen, Juden und Muslime sehr wohl friedlich zusammenleben können, im 13. Jahrhundert träumte Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen auf Sizilien vom Ausgleich zwischen Orient und Okzident: vergeblich in einer Zeit, die von religiöser Intoleranz bestimmt war. Bis heute verläuft quer durch das Mittelmeer die Trennlinie zwischen Christentum und Islam, und sie ist fast identisch mit der Grenze zwischen Arm und Reich: Die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, in Libyen und Syrien zeigen, wie prekär das Zusammenleben auch heute noch sein kann, ob man nun religiöse oder ethnische Gründe vorschiebt.
Kriege haben den Mittelmeerraum zu allen Zeiten erschüttert. Die Perser zogen gegen Athen, die Römer gegen Karthago, die Goten eroberten Rom, die Araber Spanien, die Kreuzfahrer Palästina, die Türken den Balkan. In der Antike lieferten sich die griechischen Stadtstaaten ebenso sinnlose Kämpfe wie im Mittelalter Pisa gegen Genua. Dabei wusste man zu aller Zeit, um wie viel profitabler der Frieden ist. Die Handelsschiffe der Phönizier, Griechen, Venezianer, Genuesen und Katalanen versorgten Europa mit den Schätzen des Morgenlands, bis der Aufstieg des ottomanischen Reichs und die Piratengefahr das Abendland zwang, neue Wege nach Asien zu suchen. Nach der Eröffnung des Suezkanals wurde das Mittelmeer wieder eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt: Hafenstädte wie Marseille, Barcelona und Genua schwammen geradezu im Geld. Heute leben die Küsten und Inseln des Mittelmeers von modernen Völkerwanderungen: Allein auf Mallorca verbringen Millionen bleicher Nordländer ihren Urlaub unter der südlichen Sonne.
An die 4000 Kilometer trennen die Straße von Gibraltar im Westen vom Golf von Iskenderum im Osten. Dementsprechend groß ist die landschaftliche Vielfalt der Küsten. Weite Sandstrände prägen die spanische Costa Blanca und die nördliche italienische Adria, zerklüftete Karstbuchten und Inselchen die Küste Dalmatiens, ein üppiger, von hohen Bergen vor rauen Nordwinden abgeschirmter Palmengürtel säumt die französische Côte d'Azur und die italienische Riviera. In Libyen und auf der Halbinsel Sinai tritt die Wüste bis ans Meer heran, während in Norditalien, Katalonien, in der Provence und in Ägypten die Mündungen von Po, Ebro, Rhône und Nil sumpfige Deltalandschaften geschaffen haben. An der Costa del Sol, in Sizilien und im Libanon sorgen Schneegipfel für einen malerischen Kontrast zum tiefen Blau des Meers.
Trotz aller Unterschiedlichkeit haben die Landschaften vieles gemein. Das Mittelmeerklima ist relativ einheitlich: milde feuchte Winter, trockene heiße Sommer, kalte Fallwinde wie Mistral und Bora sowie heiße Wüstenwinde wie Khamsin und Schirokko prägen die Vegetation. Silbrig glänzende Olivenbäume, schlanke dunkelgrüne Zypressen, schattige Pinien, Weinreben, nach Thymian, Rosmarin und Salbei duftende Macchie verleihen der Küste und ihrem Hinterland ein unverwechselbares mediterranes Gesicht: in der Provence und der Toskana ebenso wie am tunesischen Cap Bon oder auf Malllorca, Korsika, Sardinien und Zypern. Im Frühjahr leuchten die Landschaften im duftigen Rosa der Mandelbäume, im Schneeweiß blühender Orangenhaine, im kräftigen Gelb der Ginstersträuche, und im flammenden Rot des Klatschmohns. Im Sommer flirrt das Licht, sirren und sägen die Zikaden, blöken die Schafe, meckern die Ziegen.
Doch nicht überall ist Arkadien. Industrielandschaften wie am provenzalischen Étang de Berre bei Marseille oder am katalanischen Llobregat bei Barcelona entsprechen ebenso wenig der mediterranen Idylle wie die wild wuchernden Hafenstädte Piräus, Bari, Algeciras oder Alexandria. Ihre Abwässer belasten das Meerwasser beträchtlich, gottlob nicht überall. Noch flattert an vielen Stränden die blaue Flagge der EU, die einwandfreie Wasserqualität garantiert. Den Fischern, die immer kärglichere Beute aus dem Meer ziehen, dürfte das allerdings nur ein schwacher Trost sein.
So vielfältig wie die Landschaft ist auch die Küche des Mittelmeers. Eines haben jedoch so gut wie alle Gerichte gemein: Ob valencianische Paella, italienische Pasta, provenzalischer Lammbraten, griechisches Stifado oder marokkanischer Couscous: alle Köstlichkeiten werden mit Olivenöl zubereitet und mit mediterranen Gewürzen abgeschmeckt. Selbstverständlich gehört dazu ein gutes Glas Wein, ein französischer Côte du Rhône, ein italienischer Barolo, ein kroatischer Dingac, ein tunesischer Château de Mornag oder ein griechischer Retsina. Und gegessen wird mit Vorliebe draußen, laut und fröhlich, umschmeichelt von der milden Luft des späten Abends, in den Trattorien auf der römischen Piazza ebenso wie in den Bodegas der sevillanischen Plaza oder den Tavernen der Athener Plaka.
Spätestens hier beginnt der gestresste Nordländer die Menschen am Mittelmeer um ihre Lebensfreude zu beneiden, um die Ausgelassenheit, mit der sie ihre Feste feiern, um ihren Gleichmut, mit dem sie auch schwierigen Problemen begegnen. Wenn heute etwas nicht funktioniert, dann eben morgen oder irgendwann: »Mañana« heißt das Zauberwort in Spanien, »Pronto« in Italien, »Siga Siga« in Griechenland und »Inschallah« in Marokko oder Tunesien. Vielleicht kann man mediterrane Lebensfreude und Gastfreundschaft, die Leichtigkeit des Seins nicht lernen, aber ein wenig davon mitnehmen sollte man schon, wenn es zurückgeht in den kalten, nebligen Norden.
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